Es war still auf meinem Kanal in den letzten zwei Monaten.
Ich hatte die große Ehre, meinen Vater auf seinem letzten Weg zu begleiten und an einem Abschied vom Leben teilzuhaben, wie ich ihn auch in meinen ganzen Jahren als Sterbebegleiterin noch nie erlebt hatte: in großer Würde, Klarheit, Ruhe, Aufgeräumtheit und Frieden, fast Heiterkeit, trotz großem Leid.
Mein Vater ist bei vollem Bewusstsein, selbstbestimmt und so wie er gelebt hat gegangen: als Grand Seigneur. Ich verneige mich in tiefer Dankbarkeit vor einem Menschen, der immer ein warmherziger, aufmerksamer, wacher Geber war und gleichzeitig gesegnet mit einem brillanten Verstand, eine auch noch in hohem Alter überragende analytische Fähigkeit, einem abgeklärten, weisen und doch immer neugierigen und zuversichtlichen Blick auf die Welt und das menschliche Geschehen sowie ein stets warmherziges und authentisches Interesse an seinen Mitmenschen.
Jeder, ob die Kassiererin im Supermarkt, die Blumenfrau, der Zeitungsmann, Freunde, Wegbegleiter, ehemalige Geschäftspartner und natürlich wir als Familie haben einen ganz besonderen Menschen in Erinnerung.
Diese Gedanken möchte ich gern mit Ihnen teilen.
Der Abschied von den Eltern ist einer der ganz großen Einschnitte in unserem Leben, unabhängig davon, ob die Beziehung eng oder lose war, friedlich oder konfliktreich, liebevoll oder toxisch. Niemand prägt uns in unserem Leben so sehr wie unsere Eltern. Niemand hinterlässt in unserer Geschichte so tiefe und nachhaltige Spuren wie unsere Mutter und unser Vater.
Die Schweizer Philosophin Barbara Bleisch hat das lesenswerte Buch „Warum wir unseren Eltern nichts schulden“ geschrieben und erklärt darin, weshalb wir uns auch guten Gewissens von unseren Eltern trennen oder gar den Kontakt abbrechen dürfen. Dieses Buch empfehle ich Klienten oft, wenn sie damit hadern, sich aus hochgradig belasteten, zum Teil missbräuchlichen Beziehungen von ihren Eltern zu lösen und sich von Schuldgefühlen befreien möchten. Nur weil die Eltern vielleicht alt und hilfsbedürftig sind, müssen wir uns nicht kümmern. Wir dürfen uns entscheiden, es zu tun. Oder nicht. Für beides gibt es gute Gründe.
Zugleich möchte ich ein Plädoyer für die Beziehung zu den Eltern halten, eine Reflexion anbieten über den Wert einer geklärten, erwachsenen Beziehungen auf Augenhöhe zu unseren Eltern. Eine Beziehung, in der wir uns vom Schmerz einer möglicherweise nicht ganz gelungenen Kindheit lösen können und zugleich unsere Eltern nicht mehr mit den idealisierenden Augen eines Kindes, sondern mit denen eines Erwachsenen betrachten dürfen. Um in ihnen die Menschen sehen zu können, die mit ihrer eigenen Geschichte ins Leben gekommen sind, die ihren Rucksack getragen haben und die vermutlich ihr Bestes gegeben haben oder zumindest versucht haben, dies zu tun.
Ein sehr berührendes Buch, das ich vor einigen Monaten gelesen habe, ist von Volker Kitz „Alte Eltern – über das Kümmern und die Zeit die uns bleibt“, in dem er den langsamen und schmerzhaften Abschied von seinem dementen Vater beschreibt, eine Beziehung die bis zuletzt durch tiefe Liebe geprägt war.
Trotz der großen Erschöpfung der letzten Wochen, auch wegen der herausfordernden Aufgabe, den Nachlass zu ordnen und mich um meine derzeit sehr bedürftige Mutter kümmern zu wollen, bin ich von großer Dankbarkeit erfüllt.
Den Tod meines Vaters bis zum letzten Atemzug begleiten zu dürfen, hat mich wieder einmal mit dem Wunder des Lebens verbunden und auch mit dem Wunder des Sterbens, mit der Radikalität und der Unbarmherzigkeit des Verschwindens eines Menschen, der bis vor wenigen Augenblicken noch da war und mit seiner Lebendigkeit, Warmherzigkeit und Zugewandtheit ganze Fußballstadien hätte füllen können.
….und dann plötzlich Stille….
Diese Stille ist derzeit manchmal sehr laut und sehr schmerzhaft. Und doch gilt mehr denn je die Erkenntnis, dass Liebe das Leben überdauert.
Danke liebster OW.
Und weil das Leben derer, die bleiben, gelebt werden soll und darf, freue ich mich jetzt auf das Erscheinen meines Buches „Verkappte Narzissten – Wie wir sie enttarnen und ihnen die Macht nehmen“ am 25. März 2025 und wünsche Ihnen viel Freude, gute Erkenntnisse und vielleicht auch ein paar Momente genussvollen Schmunzelns beim Lesen.